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Mein Zahnarzt

Eine kompakte, harmonisch funktionierende, gut eingespielte Einheit ist etwas das Vertrauen schafft und ein Maximum an Übereinstimmung im Denken und Handeln verspricht. Nur schade, dass sie nicht in Erscheinung tritt. Sehr oft wäre sie der ruhende Pol, ja geradezu der unverrückbare Felsen inmitten einer Brandung. Umso beeindruckender war neulich für mich die Tatsache, dass ich ihr ausgerechnet an einem Ort begegnete; an welchem ich sie nicht erwartete: beim Zahnarzt.

Ein oberer Schneidezahn hatte sich erdreistet, das ihm von Mutter Natur zugewiesene Mandat aufzugeben und sich selbständig gemacht. Mit einem Wort: der Zahnarzt stand auf der Traktandenliste. Was ich dann in der Praxis erlebte, war feinste Massarbeit, von einem vortrefflichen Teamgeist getragen. Sie bestand aus dem Herrn Doktor und einer, zeitweise aus zwei Assistentinnen und arbeiteten Hand in Hand, wie aus einem Guss. Er war dabei der alles beherrschende «Feldmarschall», der seine Anordnungen und Anweisungen in einer mir unverständlichen Fachsprache erteilte, was prompt ausgeführt wurde. 


Während ich die ganze Zeit mit offenem Mund entspannt, ausgestreckt auf der schwarzen, weichen Liege wortlos alles über mich ergehen liess, was den Herrn Doktor zu tun beflügelte, jagten sich Gedanken in meinem Kopf, die sich in ihrer Bosheit geradezu überboten. Ja, auf irgend eine Art muss man sich die Zeit innerlich totschlagen, sagte ich mir zu meiner Beruhigung. Einer scheint mir im Nachhinein besonders ausgefallen gewesen und deshalb erwähnenswert zu sein.


Ich dachte mir, was für ein Schauspiel es sicherlich gäbe und welche Konsequenzen für den Herrn Doktor, aber vor allem für mich selbst nach sich zöge, wenn ich in einen der mit feinem Gummihandschuh geschützten Finger bisse, die allesamt ahnungslos ihre Tätigkeit im Munde verrichteten.

Nicht meine gute Erziehung oder mein fortgeschrittenes Alter hielten mich davon ab, sondern meine tiefe Abneigung, auf Gummi zu beissen. Die meiste Zeit hielt ich die Augen geschlossen und wenn ich sie öffnete, fielen meine Blicke auf eine hellblaue Decke, mit leichten weissen Wolken durchzogen und einem kleinen bunt gehaltenen Freiluftballon. Diese Decke vermochte meine Fantasie zu beflügeln und meine Sehnsucht nach Sonne, Meer, Sand und mediterraner Küche zu wecken. Prosit!


Doch das Fernweh verschwand indes augenblicklich, als mich der Arzt etwas fragte und bald darauf eine feine Nadelspitze, mehr ahnend als spürend, sich ins Zahnfleisch vorarbeitete. Bald darauf begann die eigentliche Arbeit. Ein Dröhnen hub an, als gelte es eine Asphaltplatte aufzusprengen und kurz darauf, als würde er mit einem Wildledertuch sanft über einen Zahn fahren. Dieses Wechselspiel der Gefühle hielt eine ganze Weile an und während dieser Zeit spritzte ein feiner Wasserstrahl in der Mundhöhle herum, der immer prompt abgesaugt wurde, wohlwissend, dass mein Verlangen nach Wasser unmöglich bestehen konnte.


Endlich nach Beendigung einer Unzahl von ausgeklügelten Verrichtungen, die kein Ende zu nehmen schienen, kamen die erlösenden Worte. «Härr Ansovini, Sie chönd spüele, bitte!«

Das war Musik in meine Ohren und alles kehrte wieder zur Normalität zurück, die fabelhafte Einheit löste sich auf, auf den nächsten Kunden oder Kundin wartend. Inzwischen hatte ich die Erkenntnis gewonnen, dass auch der gefühllos scheinende Zahnarzt, der mit höchster Präzision arbeitet, ein mitfühlendes Wesen wie du und ich ist. Erst viel später, wenn in einem Nerven, Geist und Seele zur absoluten Ruhestellung zurückgekehrt sind, beginnt die Vernunft zu realisieren und zu verstehen, welche Hochleistung der Zahnarzt geboten hatte, von seinen Assistentinnen aufs Vortrefflichste sekundiert. Danke ihnen allen. Das will keineswegs heissen, dass ich mich auf die nächste Begegnung freue, aber dass ich, wenn nötig, gerne hingehe werde.


Es muss ein Schalk gewesen sein, der einmal mit maliziösem Lächeln bemerkte, dass im Gegensatz zu den Millionen von leer ausgehenden Toto und Lotofans, der Zahnarzt der einzige Mensch auf Erden ist, der durch jede Ziehung reicher wird. «Honni soit qui mal y pense!»


Dante Ansovini



(Beitrag eines zufriedenen Patienten in der Lokalzeitung "Höngger" vom 11. Mai 2001 nach der Behandlung in der Praxis Dr. Silvio Grilec.)